„An jedem Ort
befindet sich des Himmels Zentrum“
Hanshan
Joachim Wermann
BILDER VON HIER UND DORT
Ansprache zur Ausstellungseröffnung im „Wiesengrund“ – Café littéraire, philosophique et critique - Frankfurt a.M., 8. Februar 2014
Liebe Gäste, liebe Freunde, lieber Joachim,
... Im Vorfeld haben viele ihr Interesse bekundet und fanden es ganz prima, dass Wermann endlich mal wieder eine Ausstellung macht!
... Die Kunstwerke, die Sie heute sehen, stammen aus etwa sechs Jahrzehnten und zeigen Motive aus Asien, aber auch aus Hessen. Die Auswahl und die Reihenfolge der Hängung entsprechen den Gegebenheiten – die Bilder mussten nämlich vom Westerwald hierhergebracht werden, und manche sind so großformatig und so schwer, dass sie den Leisten im „Wiesengrund“ nicht zuzumuten waren.
Er hat sich nie einer bestimmten zeitlichen Strömung oder künstlerischen Richtung angepasst. Er hat immer gemacht, was für ihn richtig war, auch wenn er damit gegen den Strom schwamm.
Frei nach Adorno, der gesagt hat: „Aufgabe von Kunst ist es, Chaos in die Ordnung zu bringen“ – hat Wermann bereits im zartesten Alter, kaum, dass er den Malstift halten konnte, die bürgerliche Welt seiner Eltern mit Kunst angereichert und aufgemischt. Kein Buch, keine freie Fläche waren vor ihm sicher!
Mit 15 dann durfte er endlich Malunterricht nehmen - bei dem Mecklenburger Maler und Graphiker Hermann Schepler, mit dem er von nun an eng verbunden war.
Mit 17 mußte er als Soldat an die Ostfront.
Er wollte nicht – er wollte ja malen - aber es gab kein Entrinnen!
Er hat alle Schrecken des Krieges erlebt – und er blieb nicht verschont –
Kopfstreifschuss, Schulterdurchschuss, Kniedurchschuss – das rechte Bein musste amputiert werden –
ein extremer Einschnitt in seinem jungen Leben -
mit 18 also ein Kriegs-Krüppel, sagt er.
Sein Selbstporträt von 1945 belegt das Elend des Krieges.
Aber sein Lebens- und sein Gestaltungswille waren stärker als alles andere.
Auf Krücken schlug er sich durch zu Hermann Hesse, den er damals sehr verehrte,
auf Krücken begann er sein Studium an der Kunstakademie in München.
Er war bald Meisterschüler bei Prof. Nagel, und bereits während des Studiums führte er öffentliche Aufträge aus.
1953 schuf er einen „Kreuzweg“ aus fünzehn Tafeln für die damalige Kirche "Zum Hl. Kreuz" in Wittelshofen/Mittelfranken. Es folgten die Fresken im Altarraum der Kirche St. Bonifatius in Schnelldorf/Mittelfranken sowie mehrere Glasfenster mit biblischen Motiven.
1955 erhielt er den Förderpreis der deutschen Industrie.
1957 gestaltete er ein Keramik-Relief "Krankenheilung" im „Stift Bethlehem“, heute: Stifts-Gebäude Albert-Schweizer-Haus, Bahnhofstraße 29, Ludwigslust.
Es war eine sehr produktive Zeit.
Es entstanden Porträts und Landschaftsbilder in Öl, Aquarell und Kreide, er fertigte Mosaiken, Glasfenster, Fresken, Bronzeguß, Textilentwürfe –
er hat sogar Messgewänder gestickt.
Aber weil er weder „Klinken putzen“ noch den mainstream bedienen wollte, folgte er seinem Fernweh.
Zu einer Zeit, als der Orient noch den Abenteurern vorbehalten war, packte er sein Malzeug in seinen VW Käfer und brach auf nach Indien!
Fuhr im VW Käfer durch die Türkei, den Iran, durchquerte die Dasht-e Lut, eine der extremsten und trockensten Wüsten der Welt,
fuhr durch Afghanistan und landete nach etwa 40 Tagen - am Ganges!
Was für eine Gegenwelt!
Als er einen Yogameister kennenlernte, legte er Malabstinenz ein und studierte mehrere Monate lang Vedanta-Philosophie und meditierte.
Aber dann fiel ihm eine Zen-Geschichte in die Hände, die wegweisend für ihn werden sollte.
Die Geschichte erzählt von einem Zen-Meister und einem besonders eifrigen Schüler, der sich selbst die strengsten Meditationsübungen auferlegte.
Eines Tages setzt sich der Meister vor den meditierenden Schüler und reibt lautstark zwei Ziegelsteine aneinander.
Irgendwann kann der Schüler seine Neugier nicht mehr unterdrücken und fragt: „Was tust du da, Meister?“
„Ich reibe zwei Ziegelsteine aneinander.“
„Und warum tust du das?“
„Ich will einen Spiegel machen“, sagt der Meister.
Da erwidert der Schüler weltklug: „Da kannst du lange reiben, Meister, aus diesen Ziegelsteinen wird nie ein Spiegel.“
„Und was tust du?“ fragt der Meister.
„Ich sitze und meditiere“, antwortet der Schüler.
„Und warum?“ fragt der Meister.
„Ich will erleuchtet werden“, sagt der Schüler.
„Da kannst du lange meditieren“, erwidert der Meister, „du wirst trotzdem kein Erleuchteter werden. Die Buddhaschaft besteht nämlich nicht aus Sitzen, Stehen oder Liegen.“
Nachdem er diese Geschichte verstanden hatte, beendete Joachim Wermann seine vedantischen Meditationsübungen und malte endlich wieder -
groß, kraftvoll, ausdrucksstark!
Angesichts der Fülle des Lebens, das ihm in Indien in allen Schattierungen entgegenschlug, hatten die künstlerischen, die formalen Probleme, die ihn vorher beschäftigten, keinen Bestand mehr.
Er malte einfach, so, wie es aus ihm hervorbrach – spontan und expressiv.
Die Bilder, die so entstanden, sind Ausdruck großer Intensität und fast meditativer Konzentration,
und sie sind gleichzeitig Dokumente der Lebensfreude, allen negativen Aspekten zum Trotz.
Wermann hat im tibetischen Kloster in Kathmandu gemalt, bei den Theosophen in Madras und in einer südindischen Tanzschule –
er hat Philosophen und bedeutende spirituelle Lehrer kennengelernt, er hat Raimon Panikkar porträtiert,
und er hat in Chennai, Kalkutta und Kathmandu ausgestellt.
Porträts in Öl, Aquarell, in Kreide oder Bleistift wurden seine Spezialität.
Später hatte er viele Einzelausstellungen in Deutschland –
aber die Selbstvermarktung war nicht sein Metier.
Wieder entzog er sich dem Kunstbetrieb und fuhr zurück nach Indien, diesmal im VW-Bus!
Danach kamen Studienaufenthalte in Bali, Sri Lanka, Japan und Korea.
Er blieb ein leidenschaftlicher Grenzgänger – und immer aufrecht und authentisch.
Dazu passt, dass er nach dem Krieg nicht zu der kommunistischen Veranstaltung ging, auf der er als „junger Held der Arbeit“ geehrt werden sollte!
Dazu passt auch, dass er 1964 seine spätere Frau durch die Berliner Mauer schleuste. Wären sie erwischt worden, wären sie beide im Gefängnis gelandet.
Wermann ist immer seinen sehr eigenen Weg gegangen.
Mit den Künstler-Freunden Albrecht von Bodecker, Andreas Bindl, Hänner Schlieker, Heiner Palinkas, Lily Eversdyk Smulders, Vera Kopetz war er zeitlebens in Verbindung.
Er hat Vorträge gehalten, er hat im Garuda Verlag seinen Aufsatz zum indischen „Bhavachakramudra“, dem „Lebensrad“, veröffentlicht,
er hat im „Werkhof im Torbogen“ im hessischen Langen mitgearbeitet, und -
er hat sich zur Not als Straßenkünstler über Wasser gehalten.
Neben seiner Staffelei das Schild:
„Ihr Porträt in 5 Minuten“.
„Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“, hat Adorno einmal gesagt. Und irgendwie passt das exakt auf Joachim Wermanns Arbeiten.
Und ja: „An jedem Ort befindet sich des Himmels Zentrum.“
Danke, dass Sie heute gekommen sind!
renate beyer